Das Wasserzeichen by Schneider Hansjörg

Das Wasserzeichen by Schneider Hansjörg

Autor:Schneider, Hansjörg
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60218-0
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2014-11-26T05:00:00+00:00


Eines Kommilitonen muss ich hier noch gedenken, der in meinen Ohren eine bleibende Fährte hinterlassen hat. Er hieß Joachim Graber, kam aus einem Waldtal und hatte den sanften Gang des Kamels. Sein Haar war noch länger als meins, sein Auge hellblau, seine Stimme dergestalt dunkel, dass man ihr zuhörte, ohne es zu wollen. Er trug einen Dufflecoat. Als er mich in einer Pause auf dem bekiesten Vorplatz ansprach, sah ich, dass sein Zeigefinger gelb war vom Tabak.

[154] Was ich am liebsten tun würde, fragte er, wenn ich nicht in dieser Knochenmühle eingesperrt wäre.

Ich erschrak, mich sprach sonst niemand an. Zudem überraschte mich die Frage. Was hätte ich denn anderes tun sollen, als diese Knochenmühle zu besuchen?

Ich weiß es nicht, sagte ich.

Überlege einmal, gebrauche deinen Verstand.

Darauf ging er weg über den Kiesplatz und umarmte eine Kommilitonin, der blonde Simpelfransen in die Stirn fielen. Ich schaute mich um, ob uns jemand beobachtet hatte, was nicht der Fall zu sein schien. Nur Jakob lehnte an der Mauer und schaute grinsend herüber. Aber der war mir jetzt egal.

Ich ging hin zu Joachim und tippte ihm auf die Achsel, denn er hatte seine Augen im Haar des Mädchens verborgen.

Was willst du?, fragte er.

Mit dir reden.

So rede, befahl er unter dem Haar hervor.

Ich schaute verlegen das Mädchen an. Grüne Augen, Sommersprossen auf der Nase, weißer Hals.

Was würdest denn du am liebsten tun?, fragte ich ihn.

Das, was ich jetzt tue.

Er kicherte, sie kicherte auch. Offenbar leckte er ihren Nacken.

Was hast du am Hals?, fragte mich das Mädchen.

Nichts Besonderes, bloß eine Wunde.

Sie hob meinen Schal an und schaute darunter.

Schlimm?, fragte sie.

Nein, überhaupt nicht. Man gewöhnt sich daran.

Was will er?, fragte Joachim, der seine Nase aus dem Blondhaar gezogen hatte.

[155] Nichts Besonderes, sagte sie. Und du sollst nicht immer fremde Hälse ablecken.

Ich mache Musik, sagte er, und ich lecke die Mädchen aus. Das ist das, was ich am liebsten tue. Alles andere interessiert mich nicht.

Was für Musik?, fragte ich.

Cool Jazz, Mann, Bebop. Im Gambrinus. Am Sonntagmorgen um zehn.

Am nächsten Sonntagmorgen um zehn ging ich über die Aarebrücke zum Gambrinus hinüber. In der Vitrine hing ein Plakat, worauf Jazz-Matinée stand. Ich ging hinein, der Eintritt war gratis. Im Foyer musizierten sechs Männer. Klavier, Schlagzeug, Bass, Trompete, Posaune, am Saxophon Joachim Graber, der mit Abstand der Jüngste war. Acht Leute hörten zu, mit meiner Wenigkeit neun. Zwei Frauen darunter, beide mit Simpelfransen.

Die Musik hat mich erst sehr befremdet, hatte ich doch bis anhin nicht viel anderes zu Gehör bekommen als Märsche, Ländler und Walzer. Auch die Musikanten waren eigentümlich anzuschauen. Sie wippten wie Störche, beugten sich vor und zurück, im Gesicht reine Qual und dann plötzlich beseligende Freude. Sie grinsten sich zu, schlossen die Augen, und ab ging aufs Neue die Post zu ungeahnten, wilderen Ufern.

Dann merkte ich, dass dies eine Balzarena war. Der Posaunist blähte seine Schallblasen seitlich des Mundspaltes auf wie ein Grünfrosch: Uaah, uaah, uaah! Die Finger des Bassisten kletterten über die Saiten wie die Zehen des Laubfrosches über die Zweige eines Busches: Äpp, äpp, äpp! Der Mann



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